Rückschau

Reizüberflutung: „Wir überfordern uns selbst“

22. Oktober 2015 / Rückschau

Das Klosterforum war voll besetzt mit Zuhörern, die den Bestsellerautor, Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Michael Winterhoff hören wollten. Dieser war auf Einladung der Buch- und Kunsthandlung Maria Laach gekommen. „Mythos Überforderung – Was wir gewinnen, wenn wir uns erwachsen verhalten“ lautete sein Thema. Eltern, die sich über den Erfolg ihrer Kinder definieren und diese zu Partnern machen, Chefs, die ihren Mitarbeitern nichts mehr abverlangen, Menschen, die keine Entscheidungen fällen und Dinge auf die lange Bank schieben.

Die Liste ist lang, und Michael Winterhoff beschrieb, ohne zu verurteilen. Gerne geben wir Verantwortung ab und lassen lieber Apps entscheiden, was wir tun und ändern müssten, so der Referent im Laacher Forum: „Armbänder, die die Schritte ihres Besitzers zählen und berechnen, wie viele Kalorien verbraucht werden. Es scheint uns tatsächlich zu erleichtern, wenn ein Apparat uns sagt: Du hast erst 360 Milliliter Flüssigkeit zu dir genommen. Also trink etwas! Du bist seit 15,32 Stunden wach; geh schlafen! Deine heutige Kalorienaufnahme liegt schon bei 2.815 kcal. Lass die Kekse in der Schublade! Das Problem ist, dass wir das Gefühl für unseren Körper verloren haben und dafür, was psychisch gut für uns ist und was nicht. Denn wir sind mit etwas ganz anderem beschäftigt. Wir haben eine Kette von Beratern, ob das nun persönliche Berater sind oder in Buchform. Alles abdelegiert und von außen bestimmt sein, das ist Kind sein. Wir entmündigen uns selbst und tappen in die Überforderungsfalle.”

Dabei will Michael Winterhoff nicht über die digitale Revolution sprechen. Diese sei nicht der Grund einer gestörten Selbstwahrnehmung: „Der eigentliche Grund dafür, dass wir nicht mehr Herr im eigenen Hause sind, liegt woanders: Wir haben Angst.“ Die Menge an Nachrichten, dabei viele schlechte, verunmöglicht uns das Urteil, ob diese Nachricht für mich relevant ist oder nicht. Der Wechsel von Analog auf Digital überrollt die Menschen und überfordert sie. Noch in den 90er Jahren konnte man sich aus dem Nachrichtenstrom zurückziehen. Seitdem ist über Handy und Smartphone ständige Erreichbarkeit angesagt. Der Psychiater gab zu bedenken: „Unser Gehirn kann diese Menge an Nachrichten nicht mehr verarbeiten. Und die Psyche vermag nicht, ihren eigenen Zustand zu beurteilen. Wir Menschen kriegen es nicht mit, wenn wir die Kontrolle verloren haben.“

Dabei ist Michael Winterhoff zuversichtlich, dass wir es lernen werden, mit den elektronischen Medien umzugehen. Und er gab Tipps gegen eine ständige Überforderung. Keine Überforderung bedeutet „erwachsenes Verhalten“, also klare Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen und die Fähigkeit, sich abzugrenzen. „Ich übernehme Verantwortung für mich, für andere. Ich treffe Entscheidungen, auch durchaus, welche anderen nicht passen.“ Auch sollten wir uns immer wieder die Frage stellen, „Geh ich ins Internet oder nicht? Nehme ich das Handy mit oder nicht?“ Und er plädierte im Klosterforum für den Sonntag als einen Tag der Ruhe: „Würden wir unserem Gehirn einen Tag multimedial frei gönnen, könnte es sich regenerieren.“

Sind wir nämlich nicht mehr in der Lage, Nachrichten von uns abzuspalten, zu filtern – im Fernsehen gezeigte Katastrophen und weinende Menschen – haben diese Bilder die Macht, uns zu traumatisieren. Neben der Realität ist eine andere Wirklichkeit entstanden, die uns fordert, Angst erzeugt und negativen Einfluss auf unsere Lebensqualität haben kann. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir zu uns kommen“, so Dr. Winterhoff am Ende seines Vortrags. Und er riet zu längeren Waldspaziergängen oder sich einfach für eine halbe Stunde in eine Kirche zu setzen: „Man ist dann ganz auf sich geworfen.“ Viele würden nach dem Lesen seines Buches sagen, „‚ich bin nicht davon betroffen‘ oder ‚das ist aber einfach.‘ Aber sie gehen nicht in den Wald. Man muss sich überwinden.“

Bericht: E.T. Müller, Medienbüro Burgbrohl


Zurück

Maria Laach ist ein ausgezeichneter Arbeitgeber!