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100. Todestag von Willibrord Benzler

16. April 2021 / Neuigkeiten

„Auf dein Wort hin“ – Willibrord Benzler (1853–1921)*

In der Krypta der Kathedrale St. Etienne in Metz erinnert seit 1998 eine Platte „In frommem und dankbarem Gedenken“ an Willibrord Benzler. Die dortige Inschrift verdichtet sein bewegtes Leben bis zum Tod vor einhundert Jahren am 16. April 1921 in neun Zeilen. Den darüber stehenden Wahlspruch hatte er sich als erster Abt des 1892 wiederbesiedelten Maria Laach ausgesucht und als Bischof von Metz übernommen. „In verbo tuo“ greift die Situation am See Gennesaret auf. Nachdem Jesus vom Boot des Simon aus das Volk gelehrt hat, fordert er den Fischer auf, die Netze auszuwerfen. Petrus verweist auf die vergeblichen Fangversuche in der Nacht, erklärt aber seine Bereitschaft, es noch einmal zu tun: „Auf dein Wort hin“ (Lk 5,5).

Von der Familie in die benediktinische „Gottesfamilie“

Karl Heinrich Eugen Johann Benzler wurde am 16. Oktober 1853 im sauerländischen Niederhemer (heute Stadtteil von Hemer im Märkischen Kreis) geboren. Seine Eltern betrieben eine Gast- und Landwirtschaft. Während das Umfeld evangelisch geprägt war, wurden Karl und seine beiden Geschwister im katholischen Glauben erzogen. Der Vater legte Wert darauf, „daß wir Kinder, selbst in den Ferien, die Messe an keinem Tag versäumten“, berichtet der Bischof in seinen „Erinnerungen aus meinem Leben“. Durch die 1915 abgeschlossene Autobiographie, aus der im Folgenden immer wieder zitiert wird, sie sind wir gut über den Werdegang des jungen Karl informiert. Der Besuch der höheren Bürgerschule in Menden, des Progymnasiums in Attendorn und des Collegium Paulinum in Münster führte ihn früh von zuhause weg. In der Berufswahl unentschieden, brach der Abiturient ein in Köln begonnenes Praktikum im „Baufach“ zugunsten des Theologiestudiums in Innsbruck ab. Dem Wunsch, Priester zu werden, folgte die Überzeugung, zum Ordensstand berufen zu sein. Von Kontakten mit Jesuiten in Münster, Köln und nun in Innsbruck beeindruckt, bat er um Aufnahme in die Gesellschaft Jesu. Die Ablehnung seiner Bitte enttäuschte ihn tief. Erst später vermochte er darin eine „Fügung der göttlichen Vorsehung“ zu erkennen, denn auf der Fahrt aus den Ferien zurück nach Tirol besuchte er einen ehemaligen Studienfreund in Beuron. Obwohl ihm die benediktinische Lebensweise völlig fremd war, entschied er sich binnen weniger Tage zum Dortbleiben. Am 7. Oktober 1874 wurde er eingekleidet und erhielt den Ordensnamen Willibrord. Sechs Jahre zuvor war das 1863 gegründete Benediktinerpriorat „St. Martin“ zur Abtei erhoben worden und schickte sich gerade an, unter Leitung der Brüder Maurus und Placidus Wolter Keimzelle eines monastischen Neuaufbruchs zu werden. Doch zunächst zwangen die Kulturkampfgesetze die Beuroner Mönche, gegen Ende 1875 das Königreich Preußen zu verlassen. Der Novize Willibrord gehörte zur Gruppe, die im Servitenkloster St. Karl in Volders (bei Hall im Inntal) eine Bleibe fanden. Dort feierte er an Maria Himmelfahrt des Folgejahres seine Profess und wurde am Schutzengelfest 1877 zum Priester ordiniert. Beim Hineinwachsen in ein wesentlich von Gehorsam gegenüber dem Abt als Vater und von der Liturgie geprägtes Leben stand ihm mit Hildebrand de Hemptinne, dem späteren Abtprimas, ein fähiger Novizenmeister zur Seite. „Was mich in meiner neuen Heimat besonders wohltuend anmutete, war der dort herrschende Geist eines echten, übernatürlichen Familienlebens. Die klösterliche Genossenschaft bildete der Regel des heiligen Benedikt entsprechend eine wahre Gottesfamilie.“

Neue Aufgaben

Wenn es Menschen gegeben hat ‒ und immer noch gibt ‒, die sich auf verschiedene Weise exponieren, um ein geistliches Amt zu erlangen, so gehörte Benzler sicher nicht zu diesem Kreis. In seinen Lebenserinnerungen bekennt er seine Freude über den Gedanken, „daß ich nie die Bürde eines Oberen werde zu tragen haben, daß man mich dazu durchaus nicht gebrauchen konnte“. Es kam anders. In St. Emaus Prag, wohin der Beuroner Konvent neuerlich der geeigneteren Räumlichkeiten wegen umgezogen war, prägte Pater Willibrord seine Qualitäten als Mönch weiter aus: „monastischer Ernst, ausgeprägtes Pflichtbewusstsein und unbedingte Loyalität zu seinen Oberen“ (P. Häger). Er unterwies seine jüngeren Mitbrüder in Theologie und Dogmatik. 1883 übertrug ihm Abt Maurus von Beuron das Priorenamt im als Benediktinerabtei wiedererstandenen Seckau (Steiermark). In gleicher Funktion wurde er 1890 Stellvertreter des Erzabtes Plazidus in dem nach dem Kulturkampf prosperierenden Mutterkloster im Donautal. Maßgeblich in die Verhandlungen und Maßnahmen einbezogen, die den Erwerb Maria Laachs als Beuroner Tochterniederlassung zum Ziel hatten, sollte er schließlich auch die Mönchsgruppe anführen, die nach den Klosteraufhebungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts das erste Benediktinerkloster im Rheinland begründen konnte. Nachdem Kaiser Wilhelm II. auch noch der Nutzung der im Staatsbesitz befindlichen Kirche zugestimmt hatte und dem Prior in der Karwoche 1893 der Schlüssel übergeben war, konnte Ostern gefeiert werden: Im monastischen Gotteslob war „die ehrwürdige alte Abteikirche gleichsam mit Christus zu neuem Leben erwacht“. Das Weitere war absehbar: Schon am 15. Oktober 1893 erhob der Beuroner Erzabt das Priorat zur Abtei und ernannte Willibrord Benzler zum ersten Abt des Klosters. Der Brief an seine Schwester Paula ermöglicht einen Blick in die Seelenlage des Erwählten: „Ich kann Dir nicht sagen, wie schwer es mir wird, diese Bürde auf mich zu nehmen, der ich mich so gar nicht gewachsen fühle; aber was kann ich tun, als im Gehorsam mich unterwerfen? Gott weiß, wie sehr ein solches Amt meinen Wünschen und Neigungen widerstrebe …“. Das dürfte der Augenblick gewesen sein, in dem der künftige Abt des Klosters am See Maß nahm am Fischer vom See Gennesaret: „In verbo tuo“ – „Auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen.“ Sein bis 1901 dauerndes Abbatiat sollte als ein erfolgreicher Fischfang in die Laacher Geschichte eingehen: Er konsolidierte die Finanzen der Neugründung, besetzte geschickt die Klosterämter, legte den Grundstock für den Ausbau der ordensinternen philosophischen Hochschule und nahm die Ausstattung der romanischen Abteikirche als würdigem Liturgieort in Angriff – Letzteres unter Zutun eines mächtigen Sponsors, Kaiser Wilhelm II.

Ein Mönch als Bischof auf vermintem Gelände

Die Besetzung des Stuhls des hl. Clemens von Metz gestaltete sich nach dem Tod von Bischof Ludwig Fleck im Oktober 1899 als schwierig. Es brauchte zwei Jahre, bis sich Papst Leo XIII. und der Kaiser auf einen beidseits genehmen Kandidaten verständigen konnten. Wilhelm II., der eine Sympathie für den Benediktinerorden und noch größerer Vorliebe für Maria Laach empfand, kannte den Laacher Abt aus mehreren Begegnungen, schätzte ihn persönlich und erkannte in ihm vor allem den verlängerten geistlichen Arm zur Durchsetzung seiner Interessen in Elsass-Lothringen. Über die jüngste Wende in seinem Leben machte sich Benzler keine Illusionen. In der Rede anlässlich seiner Vereidung am 24. Oktober 1901 im Neuen Palais in Potsdam bekannte er freimütig: „Es ist ein schwieriges Arbeitsfeld, das mir überwiesen wurde, und nur der Gedanke, dass ich dem heiligen Willen Gottes folge, der mir durch die Träger seiner Autorität kund wurde, finde ich den Muth, es zu betreten und zu bebauen.“ Das Bistum, dem er vorstehen sollte, lag in einer Zone, die von alters als „Mittelreich“ zwischen den Blöcken aufgerieben war. Erst in der Folge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 gehörte das auch konfessionell gespaltene Gebiet zum Reichsland. Die Wunden aus jener Zeit waren noch nicht verheilt. Die Bevölkerung verstand sich als zu Frankreich gehörig, die Deutschen wurden als Besatzer erlebt. Benzler nahm die drei silbernen Fische auf blauem Grund aus seinem Abtswappen wohl nicht nur als schöne Erinnerung an den fischreichen Laacher See in sein Bischofswappen auf. Sie hielten ihm weiterhin vor Augen, unter welcher Voraussetzung er in Metz als Menschenfischer bestehen konnte. Die Bischofsweihe erhielt er am 28. Oktober 1901 aus den Händen des Trierer Oberhirten Michael Korum. Am Ende der Feier wandte sich der neue Bischof an seine Diözesanen zuerst auf Französisch, dann auf Deutsch. Henri Collin, der Verfasser der zu diesem Anlass herausgegebenen fast hundertseitigen Gedenkschrift, merkte an: „Il parle français … clairement, distinctement, et sans accentuation prononcée“ – „Er sprach Französisch … klar, deutlich und ohne ausgeprägten Akzent“. So bemühte sich der neue Bischof von Anfang an paritätisch vorzugehen. Vermutlich wäre selbst ein Bischof mit größerer Welterfahrung, als ein Mönch sie mitbringen konnte, früher oder später zwischen die Fronten geraten. Jedenfalls stieß die Absicht des Kaisers, den Bischofs in seine Politik der „Germanisierung“ und „Eindeutschung“ der französisch geprägten Bevölkerung einzubeziehen, an Grenzen. Als erster Seelsorger seines Bistums, dem an der Communio – auch in Form der häufigen Kommunion ebenso gelegen war wie an der Stärkung des katholischen Vereinslebens, konnte dem Ansinnen des deutschen Monarchen nur bis zu einem gewissen Grad nachgeben. Da er seinem Gewissen folgend und im Gehorsam gegenüber dem Papst mit Umsicht und um Ausgleich bemüht ans Werk ging, musste er hinnehmen, dass er seit 1904 beim Kaiser in Ungnade stand.

Liturgische Bewegung und Robert Schuman

Neben dem 18. Eucharistischen Weltkongress 6.‒11. August 1907 fand in der Amtszeit Benzlers in Metz ein zweites katholisches Großereignis statt, das noch darauf wartet, als Datum zur Frühgeschichte der Liturgischen Bewegung wahrgenommen zu werden. Der Name Bischof Willibrords wird gewöhnlich nicht mit dem, was man früher vereinfachend als Liturgische Bewegung bezeichnete, in Verbindung gebracht. Das schien erst unter Abt Ildefons Herwegen eine Sache Maria Laachs geworden zu sein. Inzwischen weiß man, dass Herwegen nicht schon mit seiner Abtswahl „Vater“ dieser Bewegung war, sondern ein paar Jahre brauchte, um in die Rolle eines Förderers der liturgischen Erneuerung hineinzuwachsen. Der Mythos, der sich im Laufe der Jahrzehnte um seine Person entspann, ließ andere Personen weit in den Hintergrund treten, auch die beiden Laiengruppen, die im deutschsprachigen Raum die Abtei am See zum liturgischen Apostolat herausforderten: zum einen der Verein akademisch gebildeter Katholiken in Düsseldorf, zum anderen ein Kreis Gleichgesinnter um Theodor Abele und um den ausgezeichneten Frankreichkenner Hermann Platz. Zu diesem Freundeskreis gehörte Robert Schuman, den der Bischof von Metz 1912 mit der Leitung der „Fédération diocésaine des groupements de jeunesse“ betraute. Den jungen, tatkräftigen Rechtsanwalt ließ er auch den 60. Katholikentag vorbereiten, der vom 17. bis 21. August 1913 die Vertreter des katholischen Deutschland in die Stadt an der Mosel führte. Schuman und seine Freunde wollten mit dem Treffen nach belgischem Vorbild eine erste liturgische Woche verbinden. Das hätte der Startschuss für die Liturgische Bewegung im deutschen Sprachraum werden können. Doch offensichtlich ließ sich das Vorhaben so kurzfristig nicht mehr realisieren. „In Metz läßt sich doch noch nichts arrangieren“, schrieb Hermann Platz an Abt Herwegen. Und weiter: „Dr. Schuman, Dr. Abele und ich werden zwar dort sein, ob wir aber etwas Nennenswertes zur Propaganda des liturgischen Gedankens tun können, erscheint fraglich. Falls einer Ihrer Hochw. Herrn Patres in Metz anwesend sein sollte und uns die Ehre schenken würde, einmal mit uns zusammen zu sein, wären wir sehr froh und zu Dank verpflichtet. (Adr. Dr. Schumann Kaiser Wilhelm Ring 5).“ Schuman selbst erwirkte beim Laacher Abt die Teilnahme des Gregorianikfachmanns Pater Gregor Böckeler. So kam es am 20. August im Metzer Priesterseminar immerhin zu einer liturgischen Sitzung, an der 40 Priester und Laien teilnahmen. Mit dem Ausbruch des Weltkrieges musste der Einsatz für die Liturgische Erneuerung europaweit zurückstehen.

Gewagtes Leben – ohne Erfolgsgarantie

Mit Beginn des Krieges war Metz Teil einer langen Befestigungslinie gegen die französische Armee geworden. Das Netz des „Fischers“ zerriss und das mühsame Versöhnungswerk des „altdeutschen“ Bischofs ging mit einem Schlag verloren. Angesichts der zunehmend antideutschen Stimmung und des Einmarschs französischer Truppen im November 1918 blieb ihm nur die Resignation. Der Heilige Stuhl nahm Benzlers Rücktrittsgesuch zögerlich an und ernannte ihn zum Titularerzbischof von Attalia. Ende August 1919 verließ der Bischof die Stadt. Nach einem Aufenthalt bei seinen Verwandten in Westfalen in sein Gründungskloster zurückgekehrt, fand er am See nicht mehr die Heimat vor, die er dort zwanzig Jahre zuvor zurückgelassen hatte. Schon seit 1914 an einer Herzerkrankung leidend, zog er weiter in sein Professkloster. Die letzten Wochen verbrachte der Todkranke in der Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal bei Baden-Baden. Wie mag er dort am 30. März 1921 das Evangelium vernommen haben? In Joh 21 gewinnt die Perikope vom reichen Fischfang ein neues Gesicht: Wieder ist da der See und wieder ist da Petrus. Doch die lukanische Berufungsgeschichte hat sich zur österlichen Erscheinungsgeschichte gewandelt. Die Jünger werfen auch dieses Mal die Netze aus, doch ohne den auferstandenen Herrn erkannt zu haben. Einer der 153 Fische dient zum Mahl im Glauben, dass der Gekreuzigte lebt. Auch die Geschichte Jesu von Nazareth lässt sich nicht einfach als eine Erfolgsgeschichte „von dieser Welt“ erzählen. Am 3. April wandte Benzler sich zum letzten Mal an seine Mitbrüder in Beuron. Am 16. April starb er und wurde vier Tage später vor dem Beuroner Benediktsaltar bestattet. Der Versuch, für ihn ein Seligsprechungsverfahren anzustreben, verlief im Sande. Das hindert nicht, ihm über ein Jahrhundert hinaus ein ehrendes Andenken zu bewahren: Es gilt einem Mutmacher, auf Christi Wort hin Widriges anzunehmen, und zudem einem Patron deutsch-französischer Freundschaft.

Stefan K. Langenbahn

*Erstabdruck in: „Paulinus. Wochenzeitung im Bistum Trier“ Nr. 16, 2021, Wiedergabe mit freundlicher Erlaubnis des Chefredakteurs


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