Aus Kloster & Konvent

Meine Laacher Zeit von 1939 - 1944 (Teil 1)

18. März 2021 / Aus Kloster & Konvent

Erinnerungen von Karl Hans Heuft

Mit Beginn der Osterferien am 16. März 1940 war ich aus der 8. Klasse der Volksschule in Burgbrohl entlassen worden. Meine Eltern hatten sich schon vorher für meinen zukünftigen Lebensweg als Maschinenschlosser entschieden. Meinem mir zugedachter Berufswunsch entsprechend, hatten sie sich das vergangene Jahr über für mich um eine Lehrstelle in der Maschinenschlosserei des Klosters Maria Laach bemüht. Das war zu dieser Zeit die anerkannt beste Ausbildungsstelle für Maschinenschlosser, die jeweils einen Lehrling im Jahr einstellte.

Noch im 8. Schuljahr musste ich mich an zwei aufeinander folgenden Samstagen nachmittags mit drei weiteren Bewerbern zu praktischen und theoretischen Übungen im Kloster einfinden. Während der Maschinenbaumeister, Bruder Sebastian Vankann, mit uns praktische Übungen durchführte, testete der mit Bruder Sebastian befreundete Gewerbeoberlehre Hans Degen aus Burgbrohl unser Wissen in Rechtschreibung und Rechnen, wobei in jedem Fall für die spätere Einstellung das vergangene Volksschuljahr mit der Durchschnittsnote “Gut” Vorraussetzung war.

Weihnachten 1939 hatten meine Eltern mir in weiser Voraussicht ein Fahrrad geschenkt, damals, außer einem Fußmarsch, die einzige Möglichkeit zu vorbestimmten Zeiten von Burgbrohl nach Laach zu kommen. Eine Lehrstelle im Kloster Maria Laach bedeutete dank der landwirtschaftlichen Betriebe für die stets hungrigen Lehrlinge kräftige Mahlzeiten und für die schmale Kriegsküche meiner Eltern einen Esser weniger am Tisch.

Vor den Segen einer guten Berufsausbildung hatten die damaligen Behörden für die Jungen eine 6-monatlige Landwirtschaftshilfe in einem anerkannten Landwirtschaftsbetrieb und für Mädchen ein hauswirtschaftliches Pflichtjahr in einem kinderreichen Haushalt eingeführt. Mein Schulfreund Bodo Sailler, der bei der in Burgbrohl ansässigen Stein- und Tonindustrie als Maschinenschlosserlehrling angenommen war, war zu unserer Freude ebenfalls dafür im Kloster angemeldet.

Am 8. April 1940 starteten wir mit der notwendigen Erstausrüstung versehen mit unseren Fahrrädern in Richtung Maria Laach, um uns um 8 Uhr weisungsgemäß im Ökonomiebüro (Ecke Ostflügel?) beim Chef der Ökonomie, Pater Beda, vorzustellen. Pater Beda, ein gebürtiger Eifeler aus echtem Schrot und Korn, war ein hochdekorierter Weltkriegsoffizier. Fast auf Tuchfühlung vor ihm stehend, war er für uns in diesem Augenblick ein furchterregender schwarzer Mann: „So, ihr zwei, ihr wollt bei uns arbeiten! Dann zeigt mal euere Hände!” Bodos Hände ohne verhornte Stellen – meine Hände fast wie ein Schwerarbeiter – aber nur deshalb, weil Schreibgeräte wie Schiefergriffel und Federhalter auf meiner empfindlichen Haut verhornte Schwielen hinterlassen hatten. „Der kann arbeiten!” Damit war ich qualifiziert. Bodo müsse sehen, ob er mit Schaufel, Besen und Gabel zurecht komme. Mit der Anweisung, uns bei Bruder Rochus zu melden, standen wir auch wieder vor der Tür.

Noch unter dem Eindruck der knappen Begrüßung, brachte uns ein älterer Angestellter – Sammelbegriff für alle nicht Ordensmitglieder – zu Bruder Rochus. Wie wir noch lernen durften, war er der unangefochtene Chef eines für unsere Begriffe riesigen Bauern- oder Gutshofs, in Laach aber war er der Leiter der Ökonomie. Sein Anblick: schwarze Kutte, blaue Schürze und weiter oben ein mächtiger, feuerroter Bart, begrenzt durch scharf hervortretende Backenknochen. Darüber aber blinzelte ein leuchtendes Augenpaar, beschirmt durch dichte rote Augenbrauen. Ohne viele Worte übergab er uns einem älteren Mitarbeiter. Der zeigte uns unsere Schlafstellen und bevor die Frühstückspause begann, waren wir mit Mistgabeln bewaffnet mit ihm unterwegs zu einem der nahen Felder. Unser Begleiter war ein wortkarger Landwirt aus dem Saarland, dessen Hof nahe der französischen Grenze zum Bau des sogenannten Westwalls enteignet worden war.

Schon hinter dem Josefsbildchen auf dem ersten Drittel unseres Weges sahen wir dampfende Anhäufungen auf den Feldern, die beim Näherkommen sich als im kühlen Aprilmorgen dampfende Misthaufen entpuppten. Inzwischen war es laut Herrn Rhein, so hieß unser Betreuer, Zeit für´s Frühstück. Er überraschte uns mit einem 2 cm dicken Butterbrot, bestehend aus zwei 1 cm dicken, kräftig mit Butter beschichteten Graubrotscheiben, einem sog. Kanten. Während wir an unseren Kanten knabberten, wurden wir in die Technik einer ordentlichen Mistverteilung eingeführt. Also, die Mistgabel mit Mist beladen und durch kurze Rüttelbewegungen auf dem Feld verteilen. Das ist doch einfach, so dachten wir, bis wir feststellten, der Klumpen Mist hüpft gerne auf der Mistgabel, aber bis er sich in einen verteilfähigen Zustand zerlegte, dauerte von mal zu mal länger und er wurde immer schwerer. Bald fanden wir unsere Mistgabel schon ohne Ladung als unerträgliche Belastung und ein Ende war bei stündlich neu ankommenden Mistladungen erst nach Tagen, wenn nicht Wochen zu erwarten.

Wenn wir dann in den folgenden Tagen jammerten und uns gegenseitig bedauerten, tröstete unser Begleiter – inzwischen nannten wir ihn Vater Rhein – mit dem knappen Satz: „Auch dieser Schmerz geht vorüber!” Vier Jahre später war ich Soldat und als ich fast vier Jahre später aus Gefangenschaft nach Hause kam hatte mir unzählige Male Vater Rhein und “Auch dieser Schmerz geht vorüber” geholfen. Heute, 81 Jahre später, besuche ich meinen Freund Bodo hin und wieder, beklagen je nach dem unsere Wehwehchen und trösten uns am Ende “Auch dieser Schmerz geht vorüber!”

Der letzte Erntewagen Oktober 1940
Lanz Bulldog mit Fahrer Hippchen, 3. Bruder Rochus, 5. Pater Justin, 6. Pater Beda, 7. Pater Theoderich, 9. Vater Rhein auf dem Wagen 3. vl. Karl Hans Heuft und 2. vr. Bodo Sailler
Foto: Bruder Sebastian

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